Wenn die SPD Altenburger Land heute Abend mit einem Empfang an die 150-jährige Geschichte der Partei erinnert, widmet sie sich hoffentlich auch solchen Wegbegleitern, die vom nationalsozialistischen Terror-Regime verfolgt und ermordet wurden – so z.B. den jüdischen Kaufmann Arnold Kohn, der von 1910 bis 1933 in Altenburg lebte.
Der am 28. August 1880 im damals ungarischen Pressburg (Bratislava) geborene Arnold Kohn verließ im Alter von 18 Jahren sein traditionsbewusstes Elternhaus und begab sich auf Wanderschaft. Sein erster Aufenthalt war die österreichische Hauptstadt Wien, danach zog es ihn nach Norddeutschland. In Hannover lernte Arnold Kohn die evangelisch getaufte Anna-Maria Bauer kennen und lieben, die 1888 in Minden geboren wurde.
1910 ließ sich die Familie in Altenburg mit den ersten drei Kindern nieder. Ob Arnold Kohn bereits seit der Ankunft in Altenburg gewerblich tätig war, lässt sich leider nicht genau ermitteln, im Gewerberegister ist zunächst keine Erwähnung des Kaufmanns auszumachen. Im Dezember 1914 findet sich die erste Eintragung Arnold Kohns im Gewerberegister. Er meldete in der Pauritzer Straße 56, in der die Familie damals wohnte, den Handel mit Bildern und Bilderrahmen sowie Kunstwerbung betrieb. Die Familie bezog im September 1918 eine neue Wohnung in der Ziegelstraße 32 (heute Franz-Mehring-Straße). Familie Kohn wechselte Ende 1919 noch einmal – und diesmal endgültig in Altenburg – die Wohnung. Im Haus Baderei 10 kam die inzwischen neunköpfige Familie unter und Arnold Kohn eröffnete bereits im Januar 1920 hier ein Schokoladengeschäft und meldete den Handel mit Kolonial- und Tabakwaren (Zigarren, Zigaretten, Tabak) an. Zwischenzeitlich betrieb er einen Trödelhandel, den er aber 1923 endgültig abmeldete.
Am 1. Oktober 1924 eröffnete Arnold Kohn in der Baderei 10 ein Schuhwarengeschäft, im Spätherbst 1927 nahm der Kaufmann noch Herrenbekleidung und Wäsche in sein Sortiment auf. Die Geschäfte liefen gut und waren bei den Altenburgern beliebt. Bis 1931 gestaltete Arnold Kohn die Verkaufsfläche seines Ladengeschäfts Baderei 10 in drei separate Einzelgeschäfte, in denen Schuhwaren, Tabakwaren sowie Molkereiprodukte angeboten wurden.
In der Zwischenzeit hatten die ersten Kinder der Kohns ihre schulische und berufliche Ausbildung abgeschlossen. Während Irmgard und Werner im Kaufhaus M. u. S. Cohn beschäftigt waren, übergab Arnold Kohn seiner Tochter Elisabeth das Tabakwarengeschäft, das Molkereiprodukte- Geschäft übernahm Tochter Gertrud. Letztere erweiterte das Sortiment um weitere Lebensmittel sowie Kolonialwaren. Eine Besonderheit war der Verkauf von Speiseeis. Schon im Oktober 1931 meldete Gertrud Ella Kohn das Gewerbe wieder ab und Arnold Kohn übernahm die Geschäfte wieder. Anfang 1932 erweiterte der Kaufmann das Angebot erneut, in dem er Flaschenbier und Wurstwaren anbot. Es war wohl gerade die Fähigkeit Arnold Kohns, sich schnell auf die aktuelle Marktlage einstellen und ggf. das Sortiment anpassen zu können, die ihn und seine Familie gut durch die Wirren der Wirtschaftskrise kommen ließ.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die ersten antijüdischen Maßnahmen trübten schon bald die das Familienglück der Kohns. Der „Judenboykott“ vom 1. April 1933 bescherte Arnold Kohn zerschlagene Schaufenster und beschmierte Hauswände.
Arnold Kohn war aktives Mitglied der SPD, was ihm nun auch zum Verhängnis werden sollte. Am 16. Juni 1933 wurde gegen Arnold Kohn und seine Familie ein Ausweisungsbeschluss für das gesamte Reichsgebiet erlassen, der mit „Passvergehen und staatsfeindlicher politischer Betätigung“ begründet war. Die „staatsfeindliche politische Betätigung“ bestand in der aktiven Unterstützung der Sozialdemokraten. Dass Anna-Maria Bauer deutsche Staatsangehörige und Christin war, bewahrte auch sie nicht vor der Ausweisung. Noch bevor mit Datum vom 11. Januar 1934 der Ausweisungsbeschluss im „Amts- und Nachrichtenblatt für Thüringen“ erschien, war die Familie Arnold Kohn – mit Ausnahme der beiden in Altenburg verehelichten Töchter – aus Altenburg verzogen. Im September 1933 verkaufte Arnold Kohn das Haus und meldete sich polizeilich ab.
Nachgewiesen ist, dass die Familie von Arnold Kohn zunächst im Hotel „Bayrischer Hof“ in Wien unterkam. Sie ließen sich nach Überlieferungen in Groß-Enzersdorf nieder, verließen Österreich aber, als Engelbert Dollfuß in dem Land die Macht an sich riss. In Moson (Wieselburg), einer Teilstadt von Mosonmagyaróvár, ließ sich die Familie nieder. Mosonmagyaróvár hieß in der deutschen Bezeichnung Wieselburg-Ungarisch Altenburg, so dass Kohns also wieder in einem Altenburg lebten. Da keiner der Familienmitglieder ungarisch sprach, fiel die Eingewöhnung in der neuen Heimat schwer. Sohn Günther, der eine Tischlerlehre in Moson begann, hielt die fortwährenden Diskriminierungen und Verspottungen nicht mehr aus und wählte 1936 den Freitod auf dem jüdischen Friedhof des Orts.
Zunächst war die Familie Kohn in Ungarn sicher, da die dortige Regierung bis in das Jahr 1943 die Forderungen Nazi-Deutschlands zu einer systematischen Judenverfolgung weitgehend negierte. Nach der Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht im März 1944 waren aber auch die Juden in Ungarn der Verfolgung und Vernichtung durch die Nazis hilflos ausgeliefert. Sohn Werner kam in ein Arbeitslager und im April 1944 wurden Arnold Kohn sowie seine Töchter Elfriede und Susanne von der Polizei abgeholt und in das Ghetto Györ verschleppt. Elisabeth und Anna-Maria Kohn entgingen der Verfolgung – Anna-Maria war evangelischen Glaubens und auch Elfriede konnte einen christlichen Taufschein vorweisen. Die Verschleppung von Arnold, Elfriede und Susanne Kohn war aber nur der Auftakt zu einem grausamen Leidensweg. Mitte Juni 1944 wurden die drei abgeholt und nach Auschwitz verschleppt. Susanne Kohn hat ihren Lebensweg beschrieben, er gewährt einen Einblick in das Leid. Sie beschreibt, dass sie in einen Güterwaggon mit bis zu 100 Menschen gezwängt wurden – in jedem der Waggons standen nur ein Wasser- und ein Fäkalieneimer. Die Versorgung war kärglich, die Luft stickig. Bei mehreren Kontrollen durch die Nazis mussten Tote aus dem Waggon geworfen werden.
Die hygienischen Zustände waren also katastrophal. Nach zehn Tagen Fahrt kamen sie am 29. Juni 1944 in Auschwitz-Birkenau an. Bei der folgenden Selektion auf der berüchtigten Ankunftsrampe klammerten sich beide Töchter an den Vater, der damals 64 Jahre alt war. Vater und Kinder wurden gewaltsam getrennt, beide Töchter sollten Arnold Kohn nie wieder sehen. Arnold Kohn wurde am 15. Juli 1944 in Auschwitz ermordet.
Beide Töchter überlebten die Lager Auschwitz und Ravensbrück, die Zwangsarbeit bei den Argus-Werken in Berlin-Reinickendorf und den Todesmarsch im April 1945. Die Schwestern konnten schließlich zur Familie zurückkehren. Arnold Kohn aber konnte seine Familie nicht mehr in den Arm nehmen…
Christian Repkewitz