Nach der zwölften Vorstellung endete am Freitag, 2. Juni 2017, das Theaterstück "Cohn Bucky Levy – Der Verlust" in Altenburg – ein Projekt, in das ich nicht nur selbst involviert war, sondern das mir eine Herzensangelegenheit war. Zwar beschränkte sich mein Anteil am Theaterstück auf eine beratende Funktion, aber gemeinsam mit Bernhard Stengele und Svea Haugwitz vom Landestheater Altenburg und Mike Langer von altenburg.tv hatte ich vor zwei Jahren die Idee zu diesem Projekt mit mehreren Teilen entwickelt.
Am 1. März 2017, der 150. Wiederkehr von Marianne Buckys Geburtstag, wurde im nach ihr benannten ehemaligen Wohnhaus des Familienverbands mein Buch "Cohn .- Bucky – Levy: Rastlos vorwärts!" vorgestellt. Schon damals trugen Akteure des Landestheaters Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung und für mich ist die Kooperation mit dem Landestheater ein Glücksfall. Gemeinsam mit den Projektpartnern – neben den bereits genannten waren noch Andrea Wagner, Frank Spieth und Nikolaus Dorsch zum Projektteam hinzugestoßen – ist es uns gelungen, in recht kurzer Zeit einen wichtigen und bislang wenig beleuchteten – schon gar nicht in dieser Form – Teil der Stadtgeschichte in ein großes öffentliches Interesse zu rücken.
Dabei war ich am Anfang nicht sicher, wohin die Reise geht. Als Buchautor habe ich bereits Erfahrungen gesammelt, also war mir klar, was mich bei der Erstellung des Buchs erwartet – zumal einige Recherchen ja schon abgeschlossen waren. Wie aber ein Theaterstück zum Thema aussehen könnte, darüber konnte ich mir keine wirklichen Gedanken machen. Klar, wir haben gleich zu Anfang ein paar Ziele abgesteckt, so zum Beispiel, dass wir eine theatrale Stadterkundung an authentischen Orten machen wollten und dass wir die "übliche" Darstellung des Täter-Opfer-Verhältnisses inhaltlich aufweiten wollten hin zu einem wirklichen Verlustempfinden. Was das aber genau heißt, war mir vor zwei Jahren nicht klar. Um ehrlich zu sein, das war es mir bis zum April 2017 noch nicht. Erst dann, als ich das gesamte Schauspielensemble bei einem Stadtrundgang auf den Spuren der Familiengeschichte und den Proben zum Stück erlebte, das Stück als Textbuch vorlag und sich die gesamte Geschichte langsam zusammensetzte, wurde mir bewusst, an was für einem großartigen Projekt ich Anteil haben durfte.
Um es vorweg zu nehmen: Meine Erwartungen an das Stück und die Resonanz darauf waren – genau wie auf die zu meinem zuvor veröffentlichten Buch – wurden deutlich übertroffen. Bernhard Stengele hatte mir seinerzeit gesagt, dass das Stück keine hundertprozentige Kopie der Familiengeschichte sein würde, künstlerische Freiheiten unerlässlich wären. Und genau das macht einen Reiz unseres Projektes aus – neben einem rein historischen Werk kann man sich auch künstlerisch dem Thema widmen. Das Bühnenwerk, das Mona Becker – bekannt bereits für die Arbeit "Die im Dunkeln" – geschrieben hat und welches Bernhard Stengele und sein Team hervorragend inszeniert haben, ist dann aber doch recht nah bei den historischen Fakten geblieben. Manchmal eher zufällig, wie wir bei den Nachgesprächen zum Stück merkten. Denn das, was sich natürlich aus dem Spiel entwickelt hat, entsprach auch den tatsächlichen Begebenheiten. So etwa die enge Beziehung von Hans und Ruth Levy zu ihrem kaum älteren Onkel Gerhard Julius Bucky.
Ich hatte das große Glück, die Proben verfolgen zu können und damit auch die Entwicklung des Stücks verfolgen, vor allem aber das Team besser kennenlernen zu können. Das Schauspielteam, das Bernhard Stengele, Igal Ezraty und Mohammad Kundas da insgesamt zusammengestellt haben, hätte wohl kaum besser besetzt werden können. Mechthild Scrobanita und Peter Prautsch brillierten als das Ehepaar Bucky, Shahir Kabaha als Gerhard Julius Bucky, Christiane Nothofer und Kfir Livne-Amram als Ehepaar Levy, Ioachim Zarculea als Hans, Yara Jarrar als Ruth sowie Meshi Elbar und Öykü Oktay als Zwillinge Lotte und Lore Levy. Die "Chemie" unter den Schauspielern stimmte und man merkte, wie stark sich alle mit dem Stück und seinen Inhalten auseinandersetzten. Sehr schnell war mir klar, dass dieses Stück etwas ganz Besonderes wird. Der fast schon ausgelassene Start am Marktplatz mit der Geschäftseröffnung, der – historisch nicht genauen – jüdischen Hochzeit des Ehepaars Bucky und dem Familienportrait zwischen den nächsten wirtschaftlichen Stationen von M. & S. Cohn boten eine hervorragende Grundlage, die Charaktere ins Herz zu schließen. Eine ganz normale und doch besondere Familie eben. Die Hochzeit der Levys in der Halle des Paul-Gustavus-Hauses, die so jäh durch den Kriegsbeginn unterbrochen wird, die Wiedervereinigung der Familie Levy nach dem Krieg und das quirlige Familienleben in der Bibliothek, das 40-jährige Firmenjubiläum und die einsetzende Ausgrenzung der Familie – dargestellt durch Sprechchöre der "MitspielerAkademie", die einem einen kalten Schauer über den Rücken trieben – all das sind hervorragende Bilder gewesen, die den Aufstieg und einsetzenden Fall des Familienverbandes eindrücklich zeigten. Dann ist Kfir Livne-Amram der erste Schauspieler, der aus seiner Rolle heraustritt und eine persönliche Geschichte schildert. Der Israeli schildert eine Gegebenheit aus seiner Zeit beim israelischen Militär, die einen Eindruck in die jüdisch-arabischen Beziehungen erlaubt. Kurz darauf tut es Christiane Nothofer ihm gleich und schockt mit der Geschichte über ihren Großonkel, einen glühenden Hitlerverehrer und nationalsozialistischen Gauleiter.
Nach einer kurzen Pause dann tritt erneut die "MitspielerAkademie" im Hof des Paul-Gustavus-Hauses in Aktion. Julia Pfeuffer rezitiert ein antisemitisches Gedicht, das ich während meiner Recherchen in einem lokalen Hetzblatt der Nazis fand. Es folgen die szenische Darstellung der "Arisierung" von M. & S. Cohn, eine wortgetreue Rezitation einer Rede des NSDAP-Kreisleiters Hauschild zur Bücherverbrennung von 1933 und die frevelhafte Aktion selbst. Zwischendurch sieht man die bereits stark gezeichneten Familien Bucky und Levy, die durch einen vergitterten Gang die Menschenmenge passieren, zu der auch die Zuschauer nun gehören.
In verschiedenen Räumen des Paul-Gustavus-Hauses sowie dessen Keller erlebt das Publikum dann die Inhaftierung Albert Levys in Buchenwald. Meshi Elbar, die gemeinsam mit ihrem Schauspielkollegen Kfir Livne-Amram in einem Kellerraum wartet, erzählt aus der Sicht von Lotte Levy, wie sie ihren Vater aus dem Konzentrationslager abholte und wie gezeichnet dieser von sechs Tagen Inhaftierung war, danach stimmt sie das "Buchenwald-Lied" an – eindringlich, beklemmend, erschreckend. Im nächsten Raum wartet Christiane Nothofer, die an die bereits erzählte Geschichte ihres Großonkels anknüpft und einen Auszug aus dessen Buch "Erlebt und mitgestaltet" vorliest. Shahir Kabaha spricht – mit Übersetzung durch Öykü Oktay – über die Koexistenz und ob es eine solche überhaupt geben kann. Dabei gibt auch er eine persönliche Gegebenheit preis und berichtet, dass er als arabischer Israeli seinerzeit eine jüdische Freundin hatte und die Liebe geheim gehalten werden musste und schließlich an den Umständen zerbrach. Klug argumentierend schafft es der Schauspieler, dass man sich mit seiner Frage nach der Koexistenz beschäftigt. Der Weg führt in den "weißen Raum", den Künstlerin Marianne Hollenstein gestaltet hat. Ioachim Zarculea verliest, wie Hans Levy bei einem ungenehmigten Besuch seiner Heimatstadt die Wiederbegegnung mit Altenburg erlebte, bevor er stumm – dafür schreibend – ebenfalls Persönliches preisgibt und von seiner Familie berichtet. Im "schwarzen Raum" nebenan stehen Yara Jarrar und Peter Prautsch, die sich sichtlich nicht nur in den Rollen gut verstehen. Yara Jarrar schildert eindrücklich die Geschichte ihrer Familie, die im Wesentlichen von Flucht gekennzeichnet ist. Sie beschreibt verschiedene Fluchtstationen ihrer Familie, die von Palästina/Israel über den Libanon, Syrien, Dänemark bis hin nach Deutschland führte. So schafft sie es auch, dem Publikum aufzuzeigen, dass die Nachwirkungen des nationalsozialistischen Terrors bis heute wirken. Peter Prautsch übersetzte die Schilderung von Yara Jarrar, die sie auf Arabisch darbot. Zurück in der Bibliothek sitzt Mechthild Scrobanita, die einleitende Worte spricht, bevor eine kleine Auswahl antisemitischer Vorschriften der Nazi-Zeit zu hören sind. Dass die Behörden den ebenfalls von Marianne Hollenstein liebevoll ausgestalteten "goldenen Raum" letztlich nicht für die Nutzung freigaben, ist mehr als ärgerlich, sollte doch hier die Beschäftigung mit den Darstellern in Beziehung zu den historischen Rollen, die Rechercheergebnisse oder Laureen Levy´s Film "My Grandmother´s Sitting Room" gezeigt werden.
Einen hochemotionalen und großartigen Abschluss findet das Stück wieder in der Halle des Paul-Gustavus-Hauses. Von der ausgelassenen Stimmung der Levy-Hochzeit ist aber nichts geblieben – weder beim Publikum, noch den Schauspielern. In einer Familienaufstellung werden die letzte Jahre des Familienverbandes dargestellt – darunter auch der qualvolle Tod von Marianne Bucky sowie Albert, Franziska, Lore und Renate Levy in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Besonders eindrücklich ist der Moment, als Mechthild Scrobanita den Stein – das Symbol des Andenkens an einen Verstorbenen – nicht auf den Boden legt, sondern ihn beim Verlassen des Raums fallen lässt. Hintergrund ist die überlieferte – wenn auch nicht durch offizielle Quellen belegte – Geschichte, dass der tote Körper der Firmengründerin schon während des Transports vom niederländischen Westerbork in das polnische Sobibór aus dem Zug geworfen wurde. Selbst die Schauspieler kämpfen in dieser Szene mit den Tränen. Gerade Ioachim Zarculea, der die Übergabe des ehemaligen Wohnhauses der Familie in den 1990'ern und die Widmung als "Marianne-Bucky-Haus" als letzte Zeilen des Stückes spricht, ringt nicht selten mit den Tränen. Für mich war es gerade diese natürliche emotionale Reaktion, die das Ende des Stücks so besonders machte. Als nach dem Schlusssatz das Licht ausgeht, bleibt es im Zuschauerraum eine Weile still – mal länger, mal kürzer. Dann brandet Applaus auf, der nicht selten in Standing Ovations mündet. Die stets ausverkauften Vorstellungen, der minutenlange Applaus und der angeregte Austausch in den Nachgesprächen zeigen, dass offenbar viele Zuschauer ähnlich denken wie ich.
Wie ich eingangs schon schrieb, wurden meine Erwartungen an das Stück übertroffen. Nicht nur, weil das Stück gut geschrieben, hervorragend inszeniert und professionell gespielt wurde – "Cohn Bucky Levy – Der Verlust" hat eine neue Familie entstehen lassen, hat Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft und hat einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur sowie der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Problemfeldern geleistet. Die Freundschaften, die über das Projekt entstanden sind, möchte ich nicht missen.
Nicht unerwähnt bleiben soll das Premierenwochenende, das ich wohl mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Nicht nur wegen einer gefeierten und hervorragenden Uraufführung von "Cohn Bucky Levy – Der Verlust", sondern auch wegen der Anwesenheit von 20 Angehörigen der namensgebenden Familien aus England, Kanada, Südafrika und den USA. Bereits am Freitag vor der Premiere trafen sich die Projektpartner, das Schauspielteam, die Theater-Intendanz sowie das Theaterteam mit den Angehörigen. Was wir erlebten war eine rührende "Familienzusammenführung" und ein herzlicher Umgang unter allen Beteiligten. Viele angeregte Gespräche und neue Freundschaften ließen den Auftakt zum Premierenwochenende schon zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Dass dann noch Landrätin Michaele Sojka, die zu den wichtigsten Unterstützern des Projektes zählt, Bernhard Stengele und mir die Verdienstmedaille des Landkreises verlieh, war eine gelungene und schöne Überraschung.
Die herzliche Aufnahme in den Familienverband, die in kürzester Zeit entstandene Verbindung zwischen Schauspielteam und Familienangehörigen sowie die persönlichen Schilderungen im Nachgespräch zur Premiere, in Medieninterviews oder in persönlichen Gesprächen waren einfach unbeschreiblich. Dass Frieder Krause vom Theaterverein, die Evangelische Lukasstiftung und das Team des Marianne-Bucky-Hauses dieses besondere Wochenende für die Familie durch ihre Beiträge bereicherten zeigt, welch positive Signale von Altenburg ausgehen können.
Die Vorbereitungen und die Aufführungen von "Cohn Bucky Levy – Der Verlust" vom 20. Mai bis zum 2. Juni 2017 nebst Rahmenprogramm werden mir wohl für immer als etwas ganz Besonderes im Gedächtnis bleiben. Ich bin dankbar, Teil des Projekt zu sein, glücklich, so viele besondere Menschen kennengelernt zu haben und froh, dass wir mit unserem Projekt offenbar einen "Nerv getroffen" haben.
Ich möchte dem gesamten Team dieser beiden ersten Teilprojekte auf diesem Wege noch einmal herzlich danken, vor allem Gabriela Aldor, Mahmoud Abu Arisha, Yasin Baig, Mona Becker, Anna Borcherding, Heinrich Diemer, Nikolaus Dorsch, Meshi Elbar, Igal Ezraty, Svea Haugwitz, Marianne Hollenstein, Yara Jarrar, Shahir Kabaha, Olav Kröger, Mohammad Kundas, Mike Langer, Kfir Livne-Amram, Beteiligte der MitspielerAkademie, Christiane Nothofer, Öykü Oktay, dem Team des Paul-Gustavus-Hauses, Peter Prautsch, Nadine Repkewitz, Mandy Röhr, David Schönherr, Mechthild Scrobanita, Frank Spieth, Bernhard Stengele, Andrea Wagner, Claudia Wolter und Ioachim Zarculea. Mein Dank gilt auch den Unterstützern der Crowdfunding-Kampagne zum Buch, den Angehörigen der Familien Cohn, Bucky und Levy für die Unterstützung des Buchprojekts sowie die Präsenz zur Premiere, dem Team der Evangelischen Lukasstiftung und der Horizonte gGmbH für die Unterstützung beim Rahmenprogramm für die Familie, Gleiches gilt für Frieder Krause vom Theaterverein.
Bleibt zu hoffen, dass die weiteren Ideen, die wir in unserem "Köcher" haben, auch auf eine so positive Resonanz treffen. "Cohn – Bucky – Levy" hat sich zu einer Marke entwickelt. So manch einer, der unsere Idee anfangs belächelt hat, wird nun ob der hervorragenden Kritiken und stets ausverkauften Vorstellungen staunen – ich war und bin überzeugt davon, dass mit den in diesem Projekt versammelten Partnern ein erfolgreiches Projekt möglich ist.