Verblasste Spuren

Obermayer German Jewish History Award 2015 

Vor 75 Jahren: Pogromnacht in Altenburg

pauri54 bildmitte archivgehlaufWie in ganz Deutschland kam es auch in Altenburg in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu massiven Übergriffen gegen die jüdische Bevölkerung. Dabei konzentrierten sich die Vorfälle auf den frühen Morgen des 10. November. Gegen fünf Uhr wurden zahlreiche jüdische Familien zu Hause von Nazischergen heimgesucht, männliche Juden aus dem Bett gezerrt, Einrichtung zerschlagen. Die wehrlosen jüdischen Mitbürger wurden teils nicht einmal richtig angezogen durch die Straßen der Stadt in Richtung des Rathauses getrieben. Ihnen wurden zum Teil mit Mennige-Farbe Gesicht und Haare beschmiert, mit der bloßen Hand oder auch Gummiknüppel geschlagen oder bespuckt. Männliche Juden, deren Namen vorher dem „Kommando“ der SA verlesen wurden, prügelte man auf den Markt, wo man schließlich 19 in Polizeigewahrsam nahm

 

Neben dem privaten Eigentum, welches beschädigt wurde, hatten es die Nazischergen besonders auf die jüdischen Geschäfte abgesehen. Fensterscheiben wurden demoliert, Inventar zerstört, Waren aus den Regalen gerissen. Letztlich wurden die Geschäftsräume mit eindeutig antisemitischen Zeichen und Parolen beschmiert.

 

Der Betsaal der jüdischen Gemeinde wurde von den SA-Schergen sowie zivilen Helfern aufgebrochen, die heiligen Thora-Rollen aus dem Schrein gerissen und auf der Straße entrollt. Bücher wurden zerfetzt und wild umhergeworfen, das Mobiliar zertrümmert. Die auf der Pauritzer Straße liegenden – und damit entweihten – Thora-Rollen wurden von Beteiligten und Passanten bespuckt oder befahren.

 

In einem Bericht des Oberstaatsanwalts in Altenburg an den Generalstaatsanwalt in Jena vom 10. November 1938 heißt es u.a.: „(...) Unter anderem wurden die Fensterscheiben des staatenlosen Juden Isaak Rotenberg eingeschlagen. In seinem Geschäft wurde alles durcheinander geworfen. Das Schaufenster des Juden Dannemann wurde mit Farbe beschmiert. Auch wurde im Laden alles durcheinander geworfen. Auf ähnliche Weise wurden die Juden Löwenstamm, Goldberg (Anm.: Beide Familien Goldberg wurden am 28. Oktober 1938 nach Polen abgeschoben, gemeint sind sicher die Geschäftsräume.) usw. heimgesucht. Sprechchöre riefen ‚Juda verrecke’ usw. (...) Personen kamen kaum zu Schaden. Nur der Jude Löwenstamm wurde mit Farbe angemalt und der Jude Rotenberg, der bei der Bevölkerung besonders verhasst ist, trug erhebliche Verletzungen am Kopf davon. (...)“.

 

Die emotionslose und verharmlosende Auflistung der Übergriffe zeigt, dass die Strafverfolgungsbehörden die Maßnahmen billigten, ja sogar befürworteten. Mindestens neunzehn unschuldige Personen waren von ihren Familien entzweit und in Polizeigewahrsam gebracht worden: Julius Cohn, Nathan Dannemann, Bernhard Freilich, Leon Gildingorin, Markus Hittmann, Hermann Kloß, Gerhard Kohn und sein Vater Paul Psachje Kohn, Chaim Kornmehl und dessen Sohn Max, Fritz Leiser, Albert Levy, Bernhard Liebermann, Heinrich Lipschütz, Kurt Löwenstamm, Markus Oronowicz, Max Rehfeldt, Isaak Rotenberg und Samuel Wandstein.

 

Während Bernhard Freilich, Leon Gildingorin, Heinrich Lipschütz und Markus Oronowicz bereits am 10. November 1938 wieder entlassen wurden, mussten die anderen bis zum 12. November 1938 in der Internierung ausharren, wobei auf dreizehn von ihnen eine schlimmere Erfahrung wartete. Sie wurden in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, welches der letzte der Altenburger Internierten erst am 19. Januar 1939 verließ.

 

Christian Repkewitz

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