Verblasste Spuren

Obermayer German Jewish History Award 2015 

Gedanken zum Pogromgedenken 2025: Erinnerung als Atem der Menschlichkeit

mahnwache 87 Jahre ist die Pogromnacht nun her. Die Gedenktafel für den ehemaligen jüdischen Betsaal ist nicht nur ein Ort des Erinnerns. Sie legt auch den Finger in eine noch immer klaffende Wunde der Stadtgeschichte Altenburgs. Sie dient uns nicht zuletzt der Erinnerung an jenen November 1938, in dem auch in unserer Stadt der Zivilisationsbruch sichtbar wurde – als jüdische Mitbürger gedemütigt, geschlagen, festgenommen wurden. Der Betsaal wurde verwüstet, Thorarollen herausgerissen, Bücher zerstreut. Damit verstummte faktisch das jüdische Leben in Altenburg – ein zugegeben recht stiller, aber fester Teil unserer Stadtgemeinschaft.

Einundzwanzig Männer aus Altenburg wurden in dieser Nacht verhaftet, zwölf von ihnen später nach Buchenwald deportiert. Das war kein Ausbruch blinder Wut, sondern der sichtbare Ausdruck eines Systems, das Menschlichkeit längst abgeschafft hatte.

Und das Unrecht endete nicht mit dem Kriegsende 1945. Viele Täter blieben unbehelligt, konnten weiterleben, als wäre nichts geschehen. Einer von ihnen war Dr. Otto Grimm, bis zu seiner Absetzung Oberbürgermeister Altenburgs. Trotz seiner Verstrickung in die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung wurde er nach dem Krieg nur als „Mitläufer“ eingestuft, machte Karriere und wurde sogar mit Ehrentiteln bedacht. Solche Biografien zeigen, wie unvollständig Aufarbeitung lange blieb, wie sich Unrecht auch nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes fortsetzen konnte.

Auch in Altenburg war der Weg zur Erinnerung ein langer. Nur vereinzelt sprach man über die Opfer, erinnerte sich an bekannte Persönlichkeiten wie Albert Levy, Nathan Dannemann oder Karl Schorr-Lassen. Erstpogromgedenken2020 web allmählich begann man wieder, die Namen der Opfer auszusprechen, die Geschichten zu bewahren. Meist geschah das im Stillen, eine offizielle Form des Gedenkens an die Jüdinnen und Juden Altenburgs hat es erst nach der friedlichen Revolution gegeben. Doch Erinnerung endet nicht bei Gedenktafeln und Jahrestagen. Sie beginnt dort, wo wir Verantwortung übernehmen – in unserem Denken, in unserem Handeln, in unserer Haltung füreinander.

Erinnern heißt nicht, in Schuld zu verharren. Es heißt, Verantwortung zu übernehmen – für das Gestern, das Heute und das Morgen. Es heißt, die Namen zu bewahren und das Schweigen zu brechen. Erinnerung ist kein bloßes Zurückschauen – sie ist der Atem unserer Menschlichkeit. Erinnern wir an Menschen, die aus unserer Mitte gerissen wurden. Gebe wir Menschen ihren Platz in der Gesellschaft zurück, die nicht mehr selbst für sich sprechen konnten. Bleiben wir „a Mensch“. 

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