Verblasste Spuren

Obermayer German Jewish History Award 2015 

Vor 155 Jahren: Zuzugsbeschränkungen für Juden fallen im Herzogtum Sachsen-Altenburg

Heute vor 155 Jahren wurde das „Gesetz über die Gleichstellung der religiösen Bekenntnisse und deren Rechte“ für den Norddeutschen Bund erlassen. Dieses Gesetz, das nur einen einzigen Artikel umfasste, änderte die Situation für Jüdinnen und Juden im Herzogtum Sachsen-Altenburg nachhaltig. Bis dahin galten im Herzogtum Sachsen-Altenburg Niederlassungsbeschränkungen, zudem verbat noch das Grundgesetz des Herzogtums aus dem Jahr 1831 die Staatsangehörigkeit für Personen, die sich nicht zur christlichen Religion bekannten.

WolffWolffZwar gab es bereits ab 1849 jüdische Händler auf Märkten und später auch jüdische reisende Gewerbetreibende in den Gasthäusern der Stadt, die Niederlassung jedoch war verboten. Das vorgenannte Gesetz, das Kaiser Wilhelm I. für den Norddeutschen Bund, dem Sachsen-Altenburg seit 1867 angehörte, verordnete, beseitigte „alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte“. So fielen auch die bis dahin geltenden Niederlassungsbeschränkungen im Herzogtum Sachsen-Altenburg. Erstaunlich ist, dass mit Wolff Wolff (1844-1918) bereits vor dem Erlass des Gesetzes ein jüdischer Kaufmann das erste stehende Geschäft Altenburgs eröffnet hatte. Wolff Wolff hatte unter dem Namen Wilhelm Wolff am 12. Mai 1869 sein Bekleidungsgeschäft „Berliner Bazar“ im Haus Moritzstraße 19 eröffnet. Es ist zu vermuten, dass die städtischen Behörden unter dem Namen „Wilhelm Wolff“ keinen jüdischen Kaufmann erwartet haben.

In den ersten Jahren nach dem Fall der Niederlassungsbeschränkungen kamen im Wesentlichen Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich in das Herzogtum Sachsen-AgidasAchim BvdS1909 03 30 GrndungAltenburg. Besonders die Residenzstadt Altenburg besaß eine hohe Anziehungswirkung. Mit dem Arbeitskräftebedarf des Braunkohlereviers und der übrigen prosperierenden Industriebetriebe kamen ab etwa 1900 verstärkt auch Jüdinnen und Juden aus Russisch-Polen, Galizien, der Bukowina oder Böhmen in das Herzogtum. Die erste organisierte jüdisch-orthodoxe Vereinigung gab es im Altenburger Land in Meuselwitz, wo 1909 der „Agidas Achim“ („Brüderbund“) gegründet wurde.

Erst in den 1920er Jahren organisierten sich die eher orthodox ausgerichteten Jüdinnen und Juden aus Altenburg, Meuselwitz und einigen umliegenden Gemeinden zu einer kleinen jüdischen Gemeinde, die eigenverwaltet war. Als Gründer gilt Moses Habermann (1875-1947), der auch langjähriger Vorsitzender war. Ihm folgten Mechel Leib Neumann (1881-194?, verschollen) und Wolf Goldberg (1893-1943, ermordet). Ende der 1920er Jahre entstand der Betsaal im Haus Pauritzer Straße 54 (Hinterhaus), in dem auch eine Nachmittagsschule für jüdische Schülerinnen Pauri54und Schüler durchgeführt wurde. In den 1930er Jahren beschäftigte die kleine jüdische Gemeinde einen Vorbeter (Chazan). Namentlich bekannt sind Selig Wolf Gottesmann (1880-194?, verschollen) und Alter Chaim Winzelberg (1896-194?, verschollen). Als Lehrer der Nachmittagsschule wurde ab 1933 Leon Gildingorin (1899-1975) beschäftigt. Die kleine jüdische Gemeinde wollte 1933 eine Badezelle im „Marienbad“ als Mikwe nutzen, zog den Antrag nach dem „Judenboykott“ aber zurück. Eine Zäsur für die kleine jüdische Gemeinschaft war die „Polenaktion“ 1938, in deren Zuge der Großteil der Mitglieder aus Deutschland ausgewiesen wurde. Die Pogromnacht wenige Tage später kann als weitere Zäsur gelten, zumal der Betsaal im Rahmen des Pogroms zerstört wurde. In den folgenden Jahren nahmen Bernhard (1887-1945, ermordet) und Sophie Freilich (1893-1944, ermordet) eine zentrale Rolle für die Jüdinnen und Juden des Landkreises Altenburg ein.Stolperstein Pauri Gedenktafel

1942, 1943 und 1944 wurden viele der noch im Landkreis lebenden Jüdinnen und Juden deportiert. Vereinzelt lebten noch „Halbjuden“ und jüdische Ehefrauen „arischer“ Männer imLandkreis. Mit den Fluchtbewegungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach kamen noch einmal jüdische Einwohner in den Landkreis, zudem kehrten auch vier Jüdinnen und Juden aus dem befreiten Ghetto Theresienstadt nach Altenburg zurück. Ein organisiertes jüdisches Leben konnte sich aber nicht mehr entwickeln.

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