Verblasste Spuren

Obermayer German Jewish History Award 2015 

In memoriam: Gitla "Gusty" Ryfka Beller (1912-1942)

Gusty Beller, 1931Auch an diesem 27. Januar soll an dieser Stelle mit einem konkreten Portrait an das Leid der Shoah-Opfer erinnert werden. Die Person, die in diesem Jahr stellvertretend für die vielen Shoah-Opfer des Altenburger Landes stehen soll, ist Gitla „Gusty“ Ryfka Beller. Gusty Beller wurde 1912 in Grodzisko geboren. Ihre Eltern waren Leib (Leo) Beller (1881-1930) und Chaja (Helene) geborene Brand (1879-1942, ermordet). 1914 kam Gusty Beller gemeinsam mit ihren Eltern und den Geschwistern Perl (Pepi, 1910-1986) und Abraham Mortko (1913-1942, Tod im Exil) nach Altenburg. In Altenburg kam noch Bruder Luser (Ludwig, 1916-2007) zur Welt. Die Familie lebte über viele Jahre im Haus Schmöllnsche Straße 6. Zeitweise lebte auch Gustys Onkel Jakob Brand (1894-1943, ermordet) in Altenburg. Gusty Beller besuchte die „Neustadtschule“ (heutiger Sitz des Bauamts der Stadt Altenburg). In ihrer Abschlussbeurteilung 1926 hieß es: „Allseitig gut begabt, zeigte sie auch entsprechende Leistungen. In ihrem Wesen war sie still und bescheiden, von feinem Taktgefühl. Ihr sittliches Betragen war ohne Tadel“. Offenbar hat sie im Anschluss eine Ausbildung zur Schneiderin absolviert, belegt ist dies aber nicht. Die Geschwister waren eng verbunden und unternahmen auch viel gemeinsam. Vater Leib Beller starb 1930 bei einer Operation in Altenburg. 1931 heiratete Schwester Perl und zog nach Frankfurt/Main, bevor sie 1932 nach Südamerika emigrierte. Die beiden Brüder begaben sich 1931 nach Leipzig, wo Abraham Mortko (Markus) Beller als Lehrer arbeitete und Luser eine Ausbildung zum Werbegrafiker im Kaufhaus Gebrüder Ury begann. Noch bis 1935 lebte Gusty Beller mit ihrer Mutter in Altenburg, danach zogen auch sie nach Leipzig. Die Verbindung zu Altenburg aber blieb erhalten. In Leipzig wurden die Bellers Opfer der „Polenaktion“ und wurden am 28. Oktober 1938 über die deutsch-polnische Grenze bei Beuthen (Bytom) abgeschoben. Die Familie Beller fand zunächst ein neues Zuhause in Krakau. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs flohen die beiden Brüder Gustys zu Fuß in Richtung Sowjetunion und kamen fanden schließlich in Usbekistan eine Zuflucht. Dort starb Abraham Markus Beller an den Folgen eines Sonnenstichs. Luser Beller überlebte die NS-Zeit und kehrte 1946 nach Deutschland zurück, bevor er 1948 nach Brasilien emigrierte.

Gusty und Chaja Beller blieben in Krakau. Gusty Beller fertigte Schuhe und arbeitete Kleidung um, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter zu sichern. Gusty Beller sorgte sich um ihren beiden jüngerengusty chaja 1941 neu sandez web Brüder, mit denen sie regelmäßig im Austausch stand. Auch versuchte sie nach Kräften, eine Ausreise nach Brasilien möglich zu machen. Ihre Bemühungen aber blieben erfolglos. Im September 1940 wies man die beiden Frauen aus dem Ghetto Krakau aus und überstellte sie an das Ghetto Neu Sandez (Nowy Sacz). Auch zu diesem Zeitpunkt gab es noch regen Austausch mit den Glaubensbrüdern und -schwestern in Altenburg sowie den anderen aus dem Altenburger Land abgeschobenen Juden. So berichtete Gusty Beller regelmäßig über die Bemühungen von Betty Rotenberg (1884-1942, ermordet), dem Ehepaar Bernhard (1887-1945, ermordet) und Sophie Freilich (1893-1944, ermordet), Basia Wandstein (1895-1942, ermordet), Regina Oronowicz (1896-1942, ermordet) oder Bettchen Kohn (1884-1942, ermordet), den Kontakt aufrecht zu erhalten und regelmäßig Pakete mit Unterstützungsgaben aus Altenburg zu senden. So schrieb sie im März 1941: „Wie ich Euch schon in vorhergehender Karte mitteilte, bekamen wir aus Altenburg durch Herrn Freilich u. Frau Rotenberg u. Kohn, Brückchen, 2 Kilo Päckchen Lebensmittel geschickt, worüber wir uns riesig gefreut haben. Ich habe die alte Freundschaft wieder aufgefrischt“. Nur wenige Tage später schrieb sie verklausuliert über den Hunger im Ghetto: „Wir sind soweit gesund, nur muss ich andauernd die Kleider verengen“. Spätestens im Zuge der Liquidierung des Ghettos im August 1942 wurden Gusty und Chaja Beller ermordet.

Luser Beller bewahrte die Briefe und Postkarten, die er von seiner Schwester erhalten hatte, sein Leben lang auf. Sie sind neben Fotos und einigen Dokumenten die einzigen Spuren, die heute an die lebenslustige junge Frau erinnern. Inzwischen befinden sich wertvollen Zeitdokumente wieder in Gustys früherer Heimatstadt Altenburg. Zu ihren Ehren und der ihrer Familie wurden 2015 in Altenburg im Beisein der beiden Töchter Luser Bellers „Stolpersteine“ vor dem Haus Schmöllnsche Straße 6 verlegt.

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