Als das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn im Jahr 1914 in den Krieg zogen, waren auch Tausende jüdischer Frontkämpfer dabei. Auch viele der in Altenburg lebenden jüdischen Männer kämpften für ihre jeweiligen Herrscher. Einige von ihnen ließen auf dem Schlachtfeld das Leben, andere kehrten hoch dekoriert und geachtet aus dem Krieg zurück. Doch selbst hohe militärische Ränge und Anerkennungen sollten schon wenige Jahre später keine Rolle mehr spielen, als das nationalsozialistische Terrorregime sich über Deutschland und die Welt ausbreitete. Der folgende Beitrag soll an einigen Beispiel das Schicksal jüdischer Frontkämpfer schildern:
Marianne Bucky brachte im Jahr 1896 ihr erstes Kind zur Welt: Hans. Der Vater Sally Bucky, der seit der Heirat mit Marianne Cohn ein Jahr zuvor die Geschäfte des Weißwaren- und Posamentengeschäfts und späteren Kaufhauses „M. u. S. Cohn“ führte, hatte sicherlich eine kaufmännische Zukunft seines Sohnes im Blick. Doch Hans Bucky, der nach dem Abitur für kurze Zeit in Gera lebte, meldete sich freiwillig im Jahr 1914 zum Kriegsdienst. Er kam als Unteroffizier an der Westfront zum Einsatz und starb noch im ersten Kriegsjahr im Kriegslazarett Froyennes (Frankreich).
Auch der 1892 in Altenburg geborene Walter Burgheim, der inzwischen in Berlin lebte, ließ 1915 für sein Vaterland das Leben. Leider ist nicht mehr nachvollziehbar, wo genau der Gefreite seinen Dienst tat. Der Kaufmannssohn Walter Heinrich, 1890 in Altenburg geboren und zum Zeitpunkt des Kriegausbruchs in Chemnitz lebend, diente als Kavallerist an der Ostfront. Im Spätsommer 1915 wurde er durch Kopfschuss getötet. Und auch Harry Bernstein, der 1896 in der Residenzstadt Altenburg als Sohn des Kaufmanns Wilhelm Bernstein das Licht der Welt erblickte, fiel im Ersten Weltkrieg. Im letzten Kriegsjahr starb er im Rang eines Vizefeldwebels an der Westfront. Die Familie lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin.Zahlreiche andere jüdische Altenburger entkamen den Schrecken des Kriegs lebend. Mit teils hohen Auszeichnungen wie dem Eisernen Kreuz, der ungarischen Tapferkeitsmedaille in Gold oder dem Goldenen Verdienstkreuz mit der Krone der österreich-ungarischen Monarchie kehrten diese Menschen in ihre Heimat zurück. Doch waren sie 1918 noch Helden, änderte sich das spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Erschreckend ist, dass man zahlreiche Namen der Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs unter den Opfer des Holocaust wiederfinden kann. Die einstigen Helden Deutschlands und Österreich-Ungarns waren nun zu Ausgestoßen, zu Feinden des Reichs geworden.
Während die Handelsmänner Anczel und Fischel Wiesel oder der Augenarzt Dr. Arthur Friedmann sich noch rechtzeitig durch Emigration in Sicherheit bringen konnten, wartete auf andere ein schlimmes Schicksal. Der Kaufmann Wolf Goldberg zum Beispiel wurde im Zuge der so genannten „Polenaktion“ am 28. Oktober 1938 mit seiner Familie nach Polen abgeschoben, musste später im Lemberger Ghetto leben und Zwangsarbeit leisten. Seine Frau und seine Tochter wurden erschossen, er selbst konnte mit seinem Sohn flüchten und kämpfte später mit der Roten Armee gegen das nationalsozialistische Deutschland.
Die Kaufmänner Nathan Dannemann (Schuhhaus Dannemann), Bernhard Freilich, Paul (Psachje) Kohn und Albert Levy (Kaufhaus M. u. S. Cohn) wurden im Zuge der Pogromnacht den Familien entrissen, entwürdigt und durch die Stadt getrieben, im Polizeigefängnis interniert und schließlich – außer Bernhard Freilich – am 12. November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Nathan Dannemann kehrte am 23. November 1938 als gebrochener Mann aus der KZ-Haft zurück, abgemagert und körperlich geschunden. Nur sechs Tage später starb er an den Haftfolgen in seiner Wohnung.
Paul Kohn wurde am 28. November 1938 aus dem KZ Buchenwald entlassen, später wirtschaftlich behindert und ausgegrenzt und schließlich am 10. Mai 1942 in das Ghetto Belzyce (bei Lublin in Polen) deportiert. Noch 1942 wurde er in Lublin – wahrscheinlich im KZ Majdanek – ermordet.
Albert Levy verließ am 26. November 1938 das Konzentrationslager Buchenwald. Zuvor hatte er sein Haus in der damaligen Bismarckstraße 2 – heute das „Marianne-Bucky-Haus“ – auf das Deutsche Reich überschreiben müssen. Der wohl einflussreichste Altenburger Kaufmann wurde zur Flucht in die Niederlande gezwungen, fand sich 1943 im Sammellager Westerbork wieder und wurde mit seiner Frau Franziska und zwei seiner Töchter nach Auschwitz deportiert. Am 10. bzw. 30. November 1943 wurden sie in den berüchtigten Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet.
Karl Schorr (auch Karl-Friedrich Schorr-Lassen), beliebter Schauspieler und zeitweise auch Schauspielleiter am Landestheater, hatte schon 1933 keine Anstellung mehr beim Landestheater und wurde 1935 endgültig mit Berufsverbot belegt. 1942 wurde er nach einem Streit mit dem Verwalter des Amalienhofs in Stünzhain, wo Schorr lebte, in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und am 5. September 1942 für tot erklärt. An „Herzschwäche“ soll er gestorben sein, doch mit Sicherheit hat man ihn erschossen.
Dr. Hugo Weiss, der sich im Ersten Weltkrieg große Verdienste bei der hygienischen Organisation des Kriegsgefangenenlagers Belzec (Polen) erworben hatte, zog offenbar kurz nach Kriegsende nach Polen. Zumindest ist der Allgemeinmediziner, der in Altenburg zuletzt eine Praxis im Haus Wallstraße 35 betrieb, später im Ort Zawichost nachzuweisen. Hier wurde er – trotz erfolgtem Übertritt zum Christentum – nach der Besetzung Polens als „Volljude“ in das Ghetto des Ortes eingewiesen, wo sein Leben 1943 endete. Da alle vier Großeltern des Arztes mosaischen Glaubens waren, konnte ihn auch seine Konversion zum Christentum nicht vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten bewahren.
Bernhard Freilich war einer der letzten Juden in Altenburg. Seine ungarische Staatsangehörigkeit hatte ihn bis 1943 vor einer Deportation bewahren können. Doch schließlich wurde er gemeinsam mit Ehefrau Sophie nach Auschwitz deportiert. Während seine Frau hier ermordet wurde, kam Bernhard Freilich 1945 im Zuge der „Evakuierung“ des Lagers zurück nach Deutschland. Er wurde schließlich in das KZ Dachau gebracht, wo er am 2. April 1945 starb – nur wenige Wochen vor der Befreiung des Lagers.
Allein diese wenigen Beispiele belegen, wie schnell der ehrenvolle Einsatz für das Heimatland vergessen war, wie schnell Helden zu Ausgestoßenen wurden.
Christian Repkewitz
Zum Kriegsbeginn vor 100 Jahren: Von Helden zu Ausgestoßenen
|