Wie die Familie bestätigt hat, starb der ehemalige Altenburger Ingolf Strassmann am Dienstag dieser Woche in München. Auch wenn Ingolf Strassmann gerade einmal vier Jahre Einwohner Altenburgs war, hat sich sein Name doch ganz fest mit der Stadt verbunden. Vielen dürfte der 83-jährige in München lebende Strassmann als wichtigster Impulsgeber gegen das Vergessen der ehemaligen jüdischen Einwohner der Stadt Altenburg bekannt sein.
Über viele Jahre stand Ingolf Strassmann der Stadt Altenburg, Bildungseinrichtungen oder Heimatforschern mit Rat und Tat beiseite. Mit dem Tod Ingolf Strassmanns hat die Stadt Altenburg eine bedeutsame Persönlichkeit verloren, der sich in ganz besonderem Maße um eine würdige Erinnerungskultur an das ehemals florierende jüdische Leben Altenburgs bemüht hat. Mit seinen jahrelangen Forschungsarbeiten zur Geschichte und zum Schicksal der Altenburger Juden oder seiner Unterstützung von Schulen, Heimatforschern und nicht zuletzt der Stadt Altenburg selbst hat Ingolf Strassmann die Bearbeitung dieses Teils der Stadtgeschichte angeregt und wesentlich geprägt.
Ingolf Strassmann wurde am 7. Juni 1930 in Zechau als Sohn des jüdischen Kaufmanns Philipp Strassmann und dessen Ehefrau Maria geboren. Im Jahr 1934 zog die damals sechsköpfige Familie nach Altenburg und lebte in der Brauhausstraße 33. Als am 28. Oktober 1938 rund 50 jüdische Einwohner im Zuge der von den Nationalsozialisten betriebenen „Polenaktion“ über die deutsch-polnische Grenze bei Beuthen (Bytom) abgeschoben wurden, war auch Ingolf Strassmanns Vater Philipp dabei. Er wurde im Jahr 1941 bei Stryi (heute Ukraine) ermordet. Maria Strassmann erfuhr erst 1944 vom Schicksal ihres Ehemanns.
Ab November 1938 durfte Ingolf Strassmann keine öffentliche Schule in Altenburg mehr besuchen, so dass er jeden Tag nach Leipzig in die jüdische Ephraim-Carlebach-Schule fahren musste. Als Maria Strassmann, die katholischen Glaubens war, im Januar 1939 erfuhr, dass ihre fünf Kinder (1936 wurde in Altenburg noch Sohn Joachim geboren) innerhalb von drei Monaten Deutschland verlassen müssten, bemühte sich die liebevolle Mutter darum, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Ingolf Strassmann gelang es, mit einem einjährigen Studentenvisum in Begleitung seiner älteren Geschwister – Schwester Mignon (geb. 1926) und Bruder Jürgen (geb. 1928) – im August 1939 nach Palästina auszureisen. Die folgenden drei Jahre kam er bei einer Gastfamilie sowie im Internat in Jerusalem unter.
Nach einer zweijährigen landwirtschaftlichen Ausbildung in einem Kibbuz diente Ingolf Strassmann im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Ab 1950 arbeitete er in einem Steinbruch sowie im Hoch- und Tiefbau in Israel. Währenddessen absolvierte er ein Abendschulstudium, nach dessen Abschluss er zwischen 1951 und 1954 als Hilfs- und Sonderschullehrer für Zuwanderer tätig war.
Im Jahr 1957 kehrte der damals 27-jährige Ingolf Strassmann nach Deutschland zu seiner inzwischen in Oberbayern lebenden Mutter zurück. Hier studierte er Elektrotechnik und diplomierte. Nach einer Tätigkeit in einem feinmechanischen Betrieb in München war Ingolf Strassmann bis zu seiner Pensionierung rund 30 Jahre in der Vermarktung, Entwicklung und Beratung von technischen Anwendungen rund um das chemische Element Beryllium tätig. In seiner Arbeitszeit entstanden 13 Fachartikel, die in Europa und den USA veröffentlicht wurden.
Viele Jahre beschäftigte sich Ingolf Strassmann mit der Geschichte der Altenburger Juden, wobei sein Schwerpunkt auf den jüdischen Arbeitern im hiesigen Braunkohle-Revier lag. Für eine von ihm erarbeitete Forschungsarbeit zu diesem Thema erhielt Strassmann im August 2002 den Förderpreis der Kulturstiftung Hohenmölsen. Sein Engagement für die Erinnerungskultur zum jüdischen Leben Altenburgs und dem Austausch zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Einwohnern würdigte die Stadt Altenburg bereits im Jahr 1998 mit der Ehrenmedaille. Ingolf Strassmann veröffentlichte mehrere Artikel in den verschiedensten Medien und eigene Druckwerke, wie zum Beispiel 2003 „Altenburg in Thüringen – Stadt und Land unterm Hakenkreuz“ oder 2004 „Die Juden in Altenburg Stadt und Land – Woher kamen sie und wo sind sie geblieben...“. Eine weitere dauerhafte Erinnerung an Ingolf Strassmann ist mit dem Spurensuche-Film des Christlichen Spalatin-Gymnasiums entstanden, welcher Interviews mit dem engagierten Forscher zeigt.
Das aufopferungsvolle Wirken Ingolf Strassmanns für die Erinnerung an das einst blühende jüdische Leben in unserer Stadt ist bleibend. Sein Verlust ist insbesondere für diejenigen, die mit ihm dauerhaft in Kontakt standen, mehr als schmerzlich. Nicht immer ausreichend gewürdigt, hat Ingolf Strassmann mit seinem Einsatz nicht nur die Stadt Altenburg bereichert, sondern insbesondere den ehemaligen jüdischen Einwohnern die ihnen gebührende Ehre erwiesen. Die Fortsetzung seines Wirkens wird dazu beitragen, die Erinnerung an einen besonderen Einwohner wach zu halten.
Christian Repkewitz
(Langfassung des in der OVZ erschienenen Nachrufs)