In ganz Thüringen fanden und finden in dieser Woche zahlreiche Veranstaltungen in Erinnerung an die Bücherverbrennung im Deutschen Reich von 1933 statt. Der 10. Mai nimmt dabei als geplanter Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ im Jahr 1933 eine ganz besondere Stellung ein.
Öffentliche und private Bibliotheken wurden im Rahmen dieser Aktion nach „zersetzendem Schrifttum“ durchsucht und Werke von Bertolt Brecht, Heinrich Heine, Heinrich und Klaus Mann, Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Jack London, Maxim Gorki und vielen anderen namhaften Autoren öffentlich verbrannt. Das aktuell oft zitierte Heine-Zitat aus „Almansor“ gab – obwohl schon 1821 entstanden – einen erschreckend genauen Ausblick auf die Regierungsdoktrin der Nationalsozialisten: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“. Auch wenn in der Stadt Altenburg keine solche Bücherverbrennung dokumentiert ist, lassen sich doch auch die von den Nationalsozialisten verfemten Autoren mit persönlichen Schicksalen von Altenburgern in Verbindung bringen: Franziska „Fränze“ Levy, 1895 als erstes Kind von Marianne und Sally Bucky in Altenburg geboren, besaß eine umfassende private Bibliothek mit Werken namhafter Künstler.
Die Großfamilie Cohn/Bucky/Levy hatte es seit ihrem Zuzug nach Altenburg im Jahr 1890 zu Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung gebracht. Aus dem kleinen Ladengeschäft am Markt 23 war im Jahr 1930 ein 40-jähriger Geschäftsbetrieb des Kaufhauses „M. u. S. Cohn“ als führendes Kaufhaus Altenburgs, Ostthüringens und Westsachsens (so eine Anzeigenbotschaft des Kaufhauses) erwachsen. Das bekannte Kaufhaus erstreckte sich über die Gebäude Sporenstraße 2-6, Sporenstraße 15 und Hinter der Waage 4, hatte zu dieser Zeit 160 Mitarbeiter in 40 Abteilungen und war als „Haus der guten Qualitäten“ bekannt. Im „Erfrischungsraum“ des Kaufhauses, dessen Betrieb gegen die Einwendungen von Gastronomen der Stadt endgültig im Februar 1931 vom Stadtvorstand erlaubt wurde und der Betriebsküche boten die Kaufhausbesitzer warme Mahlzeiten für Bedürftige und Schulklassen an.
Während Franziskas Ehemann Albert Levy als Geschäftsmann und Wohltäter in der Stadt aktiv war, widmete sie sich bevorzugt der Literatur und Musik. In der umfassenden Hausbibliothek fanden sich teils mit persönlichen Widmungen versehene Werke von Jakob Wassermann, Stephan Zweig oder Thomas Mann. Zu letztgenanntem Autor sowie dessen Weggefährten Kuno Fiedler hatte Franziska Levy einen regen Briefwechsel.
Thomas Manns Werke waren – im Gegenzug zu denen seines Bruders Heinrich und seines Sohnes Klaus – von der Bücherverbrennung 1933 noch nicht betroffen. Doch nachdem Thomas Mann noch 1933 die Treueerklärung gegenüber dem Nazi-Regime nicht abgab und aus der Preußischen Akademie der Künste austrat, seiner Heimat den Rücken kehrte, die tschechische Staatsbürgerschaft annahm und 1936 in einem offenen Brief gegen das Regime opponierte, wurde sein Gesamtwerk auf die Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt.
Der fortgesetzte Schriftwechsel zwischen der Altenburger Kaufmannsfrau und Thomas Mann sowie Kuno Fiedler brachte Franziska Levy im Jahr 1937 einen Polizeigewahrsam auf unbegrenzte Zeit ein, die hauseigene Bibliothek wurde später gewaltsam von den Werken der verfemten Autoren „gesäubert“. Zwar kam sie durch einen glücklichen Umstand wieder frei, doch war für sie damit klar, dass man in Altenburg und dem Deutschen Reich nicht mehr sicher sein würde. Und so war es auch Franziska Levy, die als erste der Familienmitglieder das Exil in den Niederlanden suchte. Ihre Kinder Lore, Lotte und Renate blieben mit dem Vater und den Großeltern zurück. Sie flohen Ende 1938, nachdem Sally Bucky und Albert Levy in der Pogromnacht misshandelt wurden und Albert Levy neun Tage in „Schutzhaft“ im Polizeigefängnis sowie dem Konzentrationslager Buchenwald war.
Doch auch das niederländische Exil in Amstelveen bot keine sichere neue Heimat für die Familie: Während Tochter Lotte nach einem Besuch bei den schon 1936 emigrierten Levy-Kindern Hans und Ruth in Südafrika blieb, verharrten die anderen in den Niederlanden und mussten 1940 vom Einmarsch der deutschen Wehrmacht erfahren. Sally Bucky verkraftete das nicht und starb 1940 im niederländischen Exil – er musste damit das dunkelste Kapitel der Familiengeschichte nicht miterleben: Marianne Bucky, damals schon 76 Jahre, traf es als erste. Sie war im Zeitraum 6. März 1943 bis 23. März 1943 im Durchgangslager Westerbork interniert, wurde nach Sobibór deportiert und hier am 26. März 1943 für tot erklärt. Es gibt Mutmaßungen, dass Marianne Bucky bereits vor der Ankunft in Sobibór tot aus dem Viehwaggon geworfen wurde (Anm.: Im Gedenkbuch der Bundesrepublik Deutschland ist als Deportations- und Todesort „Auschwitz“ angegeben. Der Transport Nr. 1250 ab Westerbork führte aber nach Sobibór. Transporte von Westerbork nach Auschwitz gab es in der Zeit von Anfang März 1943 bis Ende August 1943 nicht). Auch Albert und Franziska Levy sowie die Töchter Lore und Renate konnten dem Holocaust nicht mehr entfliehen. Sie wurden entdeckt, am 7. September 1943 im Sammellager Westerbork interniert und von hier im Transport 987 nach Auschwitz deportiert. Am 10. November 1943, einen Tag nach der Ankunft in Auschwitz, wurden Albert und Franziska Levy für tot erklärt. Lore und Renate wurden am 30. November 1943 für tot erklärt. Überlieferungen zufolge sollen die beiden Töchter sich an die Eltern geklammert haben und so mit ihnen – bereits am Tage der Ankunft in Auschwitz – gemeinsam den Weg ins Gas gegangen sein.
So bietet der 10. Mai 2013 als 80. Jahrestag der Bücherbrennung die Möglichkeit des lokalen Erinnerns – auch wenn in Altenburg keine öffentliche Bücherverbrennung überliefert ist. „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ – in grausamer Weise hat sich dieses Zitat von Heinrich Heine für Franziska Levy, große Teile ihrer Familie und Millionen anderer Menschen erfüllt.
Christian Repkewitz